Da mikroskopische Spiegelobjektive als relativ selten anzutreffende “Exoten” nicht allgemein verbreitet und daher nicht in gleicher Weise wie Linsenobjektive geläufig sind, soll ein kleiner Exkurs zu diesen
technisch sehr interessant erscheinenden Vertretern mikroskopischer Spezialobjektive gegeben werden.
Historischer Abriss
Die Idee, in einem mikroskopischen Objektiv Spiegel anstelle von Glaslinsen zu verwenden, geht auf Isaak Newton zurück, der im Jahr 1672 Angaben zum Bau einer solchen Konstruktion niederschrieb (Gehne, 1952). Newtons
Idee war von der Zielsetzung geleitet, auf diesem Wege die ausgeprägten Farbfehler zu unterbinden, welche bei den einfachen Linsenkonstruktionen der damaligen Zeit infolge massiver chromatischer Aberration
regelmäßig vorhanden waren. Newton war bereits bekannt, dass Spiegel im Unterschied zu Glaslinsen frei von chromatischer Aberration sind, da sie Licht unterschiedlicher Farbe bzw. Wellenlänge in gleichbleibender
Weise reflektieren.
Zur damaligen Zeit existierten bereits Spiegelteleskope für astronomische Beobachtungen, dem Newton´schen oder Cassegrain´schen Typ entsprachen(Abb. 15 a und b).
Abb. 15: Spiegelteleskope (schematisch) a: Newton´scher Typ b: Cassegrain´scher Typ F = Brennpunkt H = Hohlspiegel O = Okular P = Planspiegel W = Wölbspiegel
Das Newtonsche Spiegel-Mikroskop entsprach im Prinzip dem Newtonschen Spiegelteleskop (Abb. 15a); es sollte somit aus einem vergrößernden Hohlspiegel und einem kleineren, im Zentralstrahlengang liegenden Planspiegel
bestehen.
Im gleichen Jahr wurde von Cassegrain das nach ihm benannte Spiegelteleskop erfunden, welches aus zwei konzentrisch angeordneten, einander gegenüberliegenden Spiegeln besteht (Abb. 15b). Der zum Objekt gerichtete
Hauptspiegel ist als Hohlspiegel (Konkavspiegel) ausgelegt; dieser sammelt das vom Objekt kommende Licht und
leitet es zu einem gegenüberliegenden, deutlich kleineren Auffangspiegel, welcher als Wölbspiegel (Konvexspiegel) in
entgegengesetzter Positionierung zum Hauptspiegel zeigt und das Licht durch eine zentrale
Öffnung des Hauptspiegels zum Okular gelangen lässt.
In seinem Buch “A Complete System of Optics” beschreibt Smith erstmals in 1738 ein mikroskopisches Spiegelobjektiv vom Cassegrain-Typ; ob dieses realisiert wurde, ist nicht bekannt (Gehne, 1952).
Der holländische Instrumentenbauer Syds Johannesz Rienks entwickelte 1822 einen ersten, noch heute erhaltenen
Prototyp eines Spiegel-Mikroskops vom Cassegrain-Typ, welcher allerdings sehr unhandlich war (Turner, 1981).
Das Objektiv hatte einen Durchmesser von 10 cm bei einer numerischen Apertur von nur 0,3 und einer Auflösung von 1,7 µm. .
Giovanni Battista Amici stellte im Jahr 1825 ein Spiegelmikroskop vom Newtonschen Typ vor; es bestand aus einem
waagerecht gelagerten Tubus mit einem Hohlspiegel als Linse, einem planen Auffangspiegel und einem einlinsigen Okular (Turner, 1981).
Das Amici´sche Spiegelmikroskop inspirierte einige Hersteller in den Folgejahren zu eigenen Produktionen des
gleichen Bautyps (z.B. John Cuthbert und Chevalier, jeweils ab 1826). Da die Bildqualitätqualität der Newtonschen
Konstruktionen begrenzt war und gleichzeitig die Güte der optischen Gläser schrittweise verbessert wurde, setzten sich diese Instrumente nicht durch.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts gelangten Spiegelobjektive zu erneutem technischen Interesse, da sie im
Unterschied zu konventionellen Linsenobjektiven die Möglichkeit bieten, brauchbare mikroskopische Bilder auch im Ultraviolett (UV)- und Infrarot (IR)-Licht zu liefern.
Karl Schwarzschild (1873-1916) besann sich unter diesem Aspekt auf den Konstruktionstyp von Cassegrain zurück
und entwickelte um 1904 das sog. Schwarzschildsche Zweispiegelsystem als mikroskopische Objektiv-Variante des
Cassegrain-Teleskopes (Gehne, 1952). Die betreffenden Spiegelobjektive bestanden lediglich aus den erwähnten
beiden einander gegenüberliegenden Hohl- und Wölbspiegeln, waren also reine Spiegelobjektive (sog. katoptrische
Systeme). Die Schwarzschild-Objektive wurden von mehreren Konstrukteuren aufgegriffen, so z.B. von Maksutow (1932), Brumberg (1941), Burch (1943), Zeiss-Jena (1949), Noris, Seeds und Wilkins (1950).
Eine Weiterentwicklung stellen Spiegelobjektive dar, welche neben den beiden gegenüberliegend angeordneten Spiegeln zusätzliche Linsen enthalten; diese Spiegel-Linsen-Systeme werden als katadioptrisch bezeichnet. Die
betreffenden Linsen werden aus Glassorten gefertigt (Quarz bzw. Flußspat), welche UV- und IR-Licht in ähnlicher Weise beugen wie sichtbares Licht.
Wegen ihrer Eigenschaft, auch Wellenlängen außerhalb des sichtbaren Spektrums zu verwerten, werden Schwarzschild-Objektiv vom katoptrischen und katadioptrischen Typ gegenwärtig auf einigen Spezialfeldern der
physikalischen und mikroskopischen Grundlagenforschung eingesetzt.
Konstruktive und optische Merkmale mikroskopischer Spiegelobjektive
Spiegelobjektive vom Typ Cassegrain/Schwarzschild bestehen wie die Cassegrain´schen Spiegelteleskope aus zwei einander gegenüberliegenden, zentrisch angeordneten Spiegeln. Der Hauptspiegel ist als Hohlspiegel
(Konkavspiegel) konzipiert, dessen Spiegelfläche zum Objekt gerichtet ist; dieser Spiegel ist objektfern angeordnet.
Der deutlich kleinere Auffangspiegel liegt als Wölbspiegel (Konvexspiegel) in objektnaher Position; seine Spiegelfläche zeigt zum Hauptspiegel.
Abb. 16: Mikroskopisches Spiegelobjektiv vom Typ Cassegrain/Schwarzschild (schematisch), Hohl- und Wölbspiegel sind schwarz unterlegt. OT = Objektträger DG = Deckglas
Die Strahlengangskizze in Abb. 16 zeigt das Prinzip des Strahlenganges im durchfallenden Licht bei konventioneller Hellfeldbeleuchtung. Die vom Objekt ausgehenden Strahlen verlaufen zunächst zum Hauptspiegel (großer
Hohlspiegel), von dort zum Auffangspiegel (kleiner mittiger Wölbspiegel) und anschließend durch eine mittige Öffnung im Hohlspiegel weiter zum Okular.
Der Auffangspiegel, welcher im Zentrum des abbildenden Strahlenbündels liegt, verursacht eine Abschattung der zentralen abbildenden Strahlen, welche nahe der optischen Achse verlaufen. Dies führt bei Beobachtung im
durchfallenden Licht zu einer Kontrastabschwächung. Bei Spiegelobjektiven, welche keine zusätzlichen Linsen
enthalten (katoptrische Systeme), werden in der Regel etwa 20% der Fläche bzw. ca. 45% der numerischen Apertur
des Hohlspiegels durch den kleineren Wölbspiegel abgedeckt (sog. “missing disk”). Durch Integration zusätzlicher
Linsen (katadioptrische Systeme) kann dieser Anteil verringert werden; das “missing disk” liegt hier bei ca. 10% der Hohlspiegelfläche bzw. bei etwa 30% der Apertur (Gehne, 1952).
Im Unterschied zu konventionellen Linsenobjektiven wird die laterale Auflösung von Spiegelobjektiven durch zwei
Randbedingungen bestimmt, die maximale Apertur des Hauptspiegels und die minimale Apertur des Auffangspiegels.
Hierdurch ergeben sich optische Verhältnisse, welche nur äußert schwierig rechnerisch zu erfassen sind (Gehne, 1952).
Diesen potenziellen Nachteilen stehen einige relevante Vorteile gegenüber (Gehne, 1952). So sind Spiegelobjektive
durch eine völlige Achromasie ausgezeichnet, welche auch das nicht sichtbare Spektrum einschließt. Etwaige chromatische Restabbildungsfehler liegen somit konstruktionsbeding niedriger als bei apochromatischen
Linsenobjektiven. Die verwendeten Spiegelkonstruktionen realisieren große, weitgehend ebene Gesichtsfelder, so
dass auch sphärische Abbildungsfehler sehr gering ausfallen. Aus optisch-physikalischen Gründen liegt weiterhin der
Arbeitsabstand (= Gegenstandsweite) deutlich höher als bei einem Linsenobjektiv vergleichbarer Vergrößerung. So
hat z.B. das getestete katadioptrische Immersions-Spiegelobjektiv mit 120-facher Eigenvergrößerung einen Arbeitsabstand von 0,45 mm, das 40-fache katoptrische Spiegelobjektiv einen Objektabstand von 2,5 mm
(Jenoptik, 1967). Der Arbeitsabstand konventioneller 100-fach vergrößernder Ölimmersionen liegt hingegen je nach Konstruktion in einem üblichen Bereich von 0,1-0,25 mm; bei 40-fach vergrößernden konventionellen
Trockensystemen liegt der Arbeitsabstand meist bei 0,15 – 0,45 mm (Leitz, 1969).
Je nach Beschaffenheit des Objektes bzw. Präparates können sich bereits aus den deutlich höheren Arbeitsabständen der Spiegelobjektive anwendungstechnische Vorteile ergeben.
Tubuslänge und Arbeitsabstände der verwendeten Spiegelobjektive
Wenn die beiden getesteten Spiegelobjektive des herstellers Zeiss Jena (125-fache Wasserimmersion und 40-faches Trockensystem) vergleichend an Mikroskopen verwendet werden, welche für Tubuslängen von 160 und 170 mm
gerechnet sind, ergeben sich keine praktisch relevanten Änderungen der Arbeitsabstände. Der Versatz der Objektebene (= Änderung des Arbeitsabstandes) kann bei Veränderung der Tubuslänge näherungsweise durch
folgende Formel abgeschätzt werden (Henkel, 2003): O = T : M 2 , mit O = Objektversatz, T = Tubuslängendifferenz, M = Maßzahl des Objektivs.
Bei einer Tubuslängendifferenz von 10 mm und einer Objektiv-Maßzahl von 120 ergibt sich für die Wasserimmersion eine ungefähre Veränderung des Arbeitsabstandes von 10 : 14.400 = 0,0007 mm; bei dem
40-fach vergrößernden Trockenobjektiv beträgt die Änderung des Arbeitsabstandes etwa 10:1600 = 0,006 mm.
Neben dem praktisch gleichbleibenden Arbeitsabstand ergab sich bei eingehender Testung im Luminanzkontrast auch keine durchgreifende Änderung der Bildqualität in Abhängigkeit von der mechanischen Tubuslänge des
Mikroskopes. Die Mikrofotos dieses Beitrages wurden ausnahmslos bei 170 mm Tubuslänge erstellt, obgleich beide
Spiegelobjektive lt. Herstellerangaben für 160 mm Tubuslänge ausgelegt sind. Die Qualität dieser Fotos belegt, dass
beide Objektive mit gleichem Erfolg an Mikroskopen beider Standard-Tubuslängen eingesetzt werden können.
Als praxisrelevanter Vorteil beider Spiegelobjektive kann im Hinblick auf ihre Arbeitsabstände festgehalten werden,
dass diese deutlich höher liegen als die üblichen Arbeitsabstände von Linsenobjektiven vergleichbarer Vergrößerung
(vgl. vorstehende Tab. 1 mit den technischen Daten). So liegt der Arbeitsabstand der 125-fach vergrößernden Wasserimmersion bei 0,45 mm und der Arbeitsabstand des 40-fachen Spiegelobjektivs bei 2,5 mm. Bei
konventionellen Ölimmersionen mit 100-facher Vergrößerung liegen übliche Arbeitsabstände hingegen je nach
optischer Auslegung bei 0,1 bis 0,25 mm; gängige 40-fach vergrößernde Linsenobjektive haben Arbeitsabstände in einem Bereich von etwa 0,15 bis 0,4 mm
Verhältnis von Tiefenschärfe und Auflösung bei den verwendeten Spiegelobjektiven
Die bisher durchgeführten praktischen Beobachtungen zeigen, dass vor allem die Wasserimmersion im Luminanzkontrast eine beträchtliche Tiefenschärfe bietet und trotz ihrer relativ geringen numerischen Apertur eine
gute Auflösung zeigt. Diese positiven Eigenschaften können aus den optischen Kenndaten des Objektivs abgeleitet werden.
Wie bereits in einem vorausgehenden Kapitel ausgeführt, ist die Tiefenschärfe (axiale Auflösung) eines mikroskopischen Objektivs abhängig von seiner numerischen Apertur und der jeweiligen Gesamtvergrößerung. Aus
entsprechenden Nomogrammen (vgl. Abb. 2) lässt sich ersehen, dass ein Objektiv mit einer Apertur von 0,9 bei 1000-facher Vergrößerung eine Tiefenschärfe von ca. 1,0
µm hat. Eine Ölimmersion mit einer Apertur von 1,30 hat demgegenüber lediglich eine Tiefenschärfe von etwa 0,6 µm. Der Gewinn an Tiefenschärfe beträgt demnach bei
1000-facher Vergrößerung etwa 66 %, wenn die Apertur eines Objektivs von 1,30 auf 0,90 herabgesetzt wird.
Diese Relation nimmt bei höheren Vergrößerungen, z.B. 1600-fach, noch tendenziell zu. Hier ergibt sich bei einer
numerischen Apertur von 0,9 eine Tiefenschärfe von etwa 0,8 µm, bei einer Apertur von 1,30 verbleibt eine Tiefenschärfe von ca. 0,45 µm. Der Tiefenschärfegewinn bei NA 0,90 liegt in diesem Fall bei 78 %.
Die laterale Auflösung eines Objektivs steigt mit zunehmender numerischer Apertur (vgl. Parabel in Abb. 1). Bei einer Apertur von 0,90 liegt das Auflösungsvermögen bei 0,38
µm; eine Apertur von 1,30 ermöglicht eine Auflösung von ca. 0,30 µm. Bei Herabsetzung der Apertur von 1,3 auf 0,9 wird das Auflösungsvermögen demnach um etwa 27 % reduziert.
Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Vergleichsrechnungen, dass bei einem Spiegelobjektiv von 120-facher Eigenvergrößerung und einer Apertur von 0,9 der Tiefenschärfegewinn beträchtlich höher liegt als der
Auflösungsverlust, wenn ein Vergleich zu einer 100-fachen Ölimmersion mit der Standardapertur von 1,3 gezogen wird.
Je höher die Objektivvergrößerung, desto bedeutsamer wird die Tiefenschärfe für brauchbare Beobachtungen, vor allem bei angestrebter Fotodokumentation. Unter diesem Aspekt kann die gegebene Apertur von 0,9 als
vorteilhafter Kompromiss betrachtet werden, wenn in dem gegebenen ultrahohen Vergrößerungsbereich mit hinreichender Tiefenschärfe gearbeitet werden soll.
Der prozentual deutlich geringer ausfallende Auflösungsverlust relativiert sich vor allem bei Arbeiten im Luminanz-Dunkelfeld, da diese Beleuchtungsart in ähnlicher Weise wie konventionelles Dunkelfeld eine Tendenz
zeigt, kleinste Strukturen im Grenzbereich der jeweiligen Darstellbarkeit hell kontrastiert aufleuchten zu lassen; die
kleinste darstellbare Partikelgröße liegt daher schon beleuchtungsbedingt geringer als bei anderen Beleuchtungsarten.
Die Apertur des getesteten 40-fach vergrößernden Spiegelobjektivs liegt mit 0,65 in einem üblichen Bereich, welcher
auch für Standard-Linsenobjekive mit 40-facher Eigenvergrößerung gilt. Daher entspricht die Tiefenschärfe dieses
Spiegelobjektivs bei visueller Beurteilung der erwartbaren Tiefenschärfe eines vergleichbar ausgelegten Linsenobjektivs.
Copyright: Jörg Piper, Bad Bertrich, Germany, 2007
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